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Statement zu den Vorfällen rund um den CSD Mainz 2023

Statement der Linken Liste/SDS Mainz zu den Vorfällen rund um den CSD 2023

1. Was ist passiert?

Am Samstag, 29.07.23 fand der Cristopher Street Day (CSD) in Mainz statt. Wir als Linke Liste/SDS Mainz haben zur Teilnahme am Demozug aufgerufen und eingeladen, mit uns einen antikapitalistischen Block zu bilden (1). Ganz im Sinne unseres Aufrufs „Keine Cops und Konzerne auf unserem CSD“ war der Zuspruch und die Stimmung im Block kämpferisch und gut!

Wir freuen uns, dass der CSD mit 8000 Teilnehmer*innen so groß wie nie in Mainz war, unser Block von vielen als ein politischer Ort auf dem CSD genutzt und wahrgenommen wurde und wir viel positives Feedback erhalten haben.

Kurz nach Eintreffen des Zuges an der Malakoff-Terrasse startete eine Kleingruppe mit Bannern und Flyern einen Protest, in Form einer symbolischen Blockade (die also niemanden daran hindert, diese zu umgehen) und freien Versammlung, vor dem Stand der Polizei. (2).

Nachdem die Polizei eingriff und die Aktivist*innen vom Stand zurückdrängte, gesellten sich einige Menschen, insbesondere aus dem antikapitalistischen Block, zu ihnen, um sie bei dem Protest zu unterstützen. Es bildete sich eine Ansammlung von Menschen, die sowohl aus Krikiter*innen und Befürworter*innen des Polizeistandes bestand. In dieser ohnehin bedrängenden Situation wurde das Auftreten einzelner Personen auch aus der CSD-Orga als aggressiv wahrgenommen, es gab Versuche, Transparente herunterzudrücken und queeren Mitgliedern des Protestes wurde ihre Queerness abgesprochen.
Im Zuge dieser Konfliktsituation kam es zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung zwischen zwei Mitgliedern der queeren Community.

Die nun beschuldigte Person war anfangs nicht Teil der Blockade. Als die Aktivist*innen bedrängt wurden, ging sie mit einigen Anderen deeskalierend dazwischen und versuchte, den Abstand zwischen beiden Seiten aufrechtzuerhalten. Dabei wurde ihr Gesicht aus nächster Nähe von Person 2 gefilmt, was Erstere weder durch Aufforderungen noch durch Wegdrehen verhindern konnte. Im Gegenteil, Person 2 kam filmend immer näher. Person 1 versuchte, das Handy wegzuschieben und bekam daraufhin von Person 2 einen Faustschlag ins Gesicht. Daraufhin schlug Person 1 im Affekt zurück. All dies ist in den kursierenden Videos klar zu erkennen. Die einseitige Darstellung in Presse und Social Media ist vor diesem Hintergrund schwer nachvollziehbar, doch dazu später mehr.

Die Berichterstattung der letzten Tage über die gesamten Ereignisse ist scharf zu kritisieren, da Falschmeldungen auf Basis schlechter Recherche verbreitet wurden.
Wir werden hier nun zu den Ereignissen am Mainzer CSD und einigen der uns gegenüber vorgebrachten Anschuldigungen Stellung nehmen.

2. Unsere Einordung

2.1 Kleiner Ausschnitt von Falschbehauptungen und unsere Richtigstellungen

Grundsätzlich kritisieren wir die Art der Berichterstattung im Zusammenhang mit unserem Aufruf für einen antikapitalistischen Block auf dem CSD und den Vorfällen bei der Protestaktion gegen den Stand der LSBTI* Ansprechstelle der Polizei scharf.
Entgegen der Behauptung einer Kommunikationsverweigerung unsererseits, hatten wir vor und nach dem CSD nie die Möglichkeit, zu den Gründen unseres Aufrufs Stellung zu beziehen.
In der medialen Berichterstattung etablierte sich schnell eine politisch gefärbte Erzählung, die von manchen (politischen) Akteuren gezielt forciert wurde, von anderen unkritisch übernommen wurde. Damit wird eine grundsätzliche Trennung zwischen ‚links‘ und ‚queer‘ impliziert, wodurch der Verdacht einer strukturellen Queerfeindlichkeit von Links sowie das Absprechen der Queerness linker Personen suggeriert wird.(3).

1.: Wir hätten zu einem Protest gegen den CSD aufgerufen oder einen solchen sogar durchgeführt. Das ist falsch. Richtig ist, dass wir zu einem antikapitalistischen Block auf dem CSD aufgerufen haben.(4)

2.: Wir hätten dagegen protestiert, dass der Zug von Polizist*innen begleitet wurde. Das ist falsch. Richtig ist, dass wir Kritik daran üben, dass sich die Polizei als Institution mit einem Stand aktiv am CSD beteiligt hat. Diese Kritik begründen wir unten ausführlicher.(5)

3.: Die Darstellung, dass die Blockade des Polizeistandes von uns organisiert oder initiiert wurde, ist ebenso falsch. Die Blockade war nicht Teil unseres Aufrufs. (6)
Dies hat der Instagram-Kanal „Antifa Mainz“ in einem Statement bereits am Sonntag klargestellt. (7)

4.: In vielen Medien, bspw. der FAZ, kursiert das Framing einer ‚Angreiferin aus dem Protest gegen den CSD‘, das Mitglied unserer Gruppe sei. Dies ist auf mehreren Ebenen falsch (s. zunächst ‚erstens‘). Richtig ist: Die Person, die im Zuge einer Blockade im Affekt zurückgeschlagen hat, ist kein Mitglied unserer Gruppe. Jedoch haben wir sie in der Vergangenheit stets voller Einsatz gegen Diskriminierung und für eine bessere, gerechte(re) Gesellschaft erlebt und teilen diese Einschätzung auch heute.
Des Weiteren: Selbst im reißerischen Instagram-Video von graciagracioso, wo das Narrativ eines ‚transfeindlichen Angriffs einer Linksextremistin‘ unreflektiert dargestellt wird und welches wir an dieser Stelle zwar nicht weiter verbreiten möchten, der SWR jedoch gerne in seinen Artikel eingebettet hat (8), ist im zweiten ‚zitierten‘ Video (bei ca. 1:16 Restlaufzeit) der erste Treffer klar zu erkennen. Auf diesen folgt der Gegenschlag, der eine sicher unangemessene Reaktion ist, die im Affekt passieren kann, aber eben nicht darf.
Das Narrativ von “linksextremen Gewalttätigen”, die man nicht in der Bewegung haben möchte, verdreht völlig, wer eigentlich systematisch Macht und Unterdrückung ausübt.
Ebenso führt die Gleichstellung mit der extremen Rechten dazu, dass die Ideologie der keineswegs neutralen „Mitte“ verschleiert wird und die (akuten) Gefahren des Faschismus verharmlost werden. Dieser Blick beweist eine Ignoranz gegenüber den aktuellen politischen Verhältnissen. (9)

2.2. CSD für alle

Uns wurde vorgeworfen, es sei übergriffig, „wenn eine ’nicht-rein queere Gruppe‘ einer queeren Gruppe sagen möchte, wie sie einen CSD ‚zu leiten und zu führen hat'“ (10)
Diese Aussage nimmt nicht-queere Personen aus der Verantwortung, sich mit gesellschaftlichen Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnissen auseinander zu setzen und Positionen zu entwickeln.
Klar, insbesondere queere Menschen müssen gehört und unterstützt werden, aber alle müssen für inhaltliche Einordnung und politische Praxis Verantwortung übernehmen.
Wir üben als Teil des CSD eine absolut legitime Kritik an Kommerzialisierung und Vereinnahmung von polizeilicher Seite.
Auch innerhalb der queerfeministischen Bewegung gibt es verschiedene Strömungen mit unterschiedlichen Problemanalysen und Verständnissen von gesellschaftlicher Veränderung. Wir erachten es für notwendig, dass diese Strömungen vor allem am CSD sichtbar vertreten sind.

Nun zum spezifischen Fall des Schlagabtauschs und dem Narrativ eines ‚queerfeindlichen Angriffs von außerhalb der Community‘. Die handgreifliche Auseinandersetzung auf dem CSD war eine zwischen queeren Menschen. Wir sehen, dass nicht alle queeren Personen gleichermaßen unterdrückt werden und eine sichtbare und besorgniserregende Transfeindlichkeit sowohl gesellschaftlich als auch in der LGBTQ* Community besteht, die trans* Personen in eine vulnerablere Stellung versetzt, weshalb sie auch in der Community besonderen Schutz bedürfen.
In der spezifischen Situation war allerdings bei keiner der beiden beteiligten Personen die Queerness der jeweils anderen handlungsleitend. Die Instrumentalisierung des Vorfalls lenkt von realen tagtäglichen Angriffen auf trans* Personen ab, die wirklich das Motiv Hass auf trans* Personen haben, und es nicht wie vorliegend nur konstruieren. Wir bedauern trotzalledem genauso wie alle Beteiligten, dass es zur Anwendung von Gewalt gekommen ist.

2.3 Warum Antikapitalistischer Block?

Bei Demos ist es gängige Praxis, dass Personen in Blöcken laufen, um einzelne Aspekte eines Themas hervorzuheben. Einen Block auf einer Demo zu bilden bedeutet also nicht die Ablehnung der Demo, sondern die (kritisch-)solidarische Teilnahme.
Wir finden – als Gruppe, in der viele queere Personen aktiv sind – den CSD absolut notwendig und wichtig. Wir kritisieren aber dennoch die fortschreitende Entpolitisierung und Kommerzialisierung des CSDs. Konzerne, Polizei und andere staatliche Institutionen eignen sich diesen immer mehr an. Die Befreiung von LGBTQ+ Personen kann nur durch die Überwindung von Kapitalismus, Patriarchat, Kolonialismus und Rassismus erreicht werden.

Parteien, die sich nicht für die Rechte queerer Menschen einsetzen und Konzerne, die (queere) Menschen ausbeuten, inszenieren sich als Verbündete der queeren Community, indem sie die Regenbogenfahne für Marketingzwecke nutzen (rainbowwashing). Eine Repräsentation der queeren Community für Werbezwecke einmal im Jahr hat mit einer tatsächlichen Unterstützung queerer Kämpfe nichts zu tun und dient lediglich der Profitmaximierung.
Das gemeinsame Laufen im antikapitalistischen Block drückt zunächst unsere Ablehnung des Rainbowwashings aus. Darüber hinaus aber auch unsere Überzeugung, dass es, um eine umfassende Befreiung von LGBTQ+ Personen zu erreichen, die Überwindung des kapitalistischen Systems braucht. Es reicht nicht aus, die systemisch bedingte Unterdrückung von queeren Menschen als eine Diskriminierung auf individueller Ebene zu betrachten und auf Identitäten zu reduzieren. Die Überausbeutung und Unterdrückung von queeren Menschen ist strukturell verankert im bestehenden kapitalistischen System und kann nicht losgelöst von anderen Unterdrückungsformen betrachtet und verstanden werden.
Der CSD ist ein zentraler Gedenktag, der an wichtige Kämpfe von queeren Aktivist*innen erinnert.
Niemand ist frei, solange nicht alle von uns frei sind!

2.4 Kritik der Polizei

Der CSD ist nicht ausschließlich ein Anlass zum Feiern und Ausleben queerer Identitäten, sondern ist ein Gedenken an die Stonewall Riots 1969 in der Christopher Street in New York. Diese ereigneten sich nach einer Serie gewalttätiger und willkürlicher Razzien und Repression der Polizei gegen die queere Community. Ein Stand der Polizei auf dem CSD ist Ausdruck eines geschichtsvergessenen Umgangs mit den Kämpfen queerer Menschen, wegen denen wir an diesem Tag auf die Straße gehen können.

Damals wie heute passt sich die Polizei an bestehende gesellschaftliche Verhältnisse und geltendes Recht an, wird also auch etwaige queerfeindliche Gesetze durchsetzen (wie bspw. gerade in Italien erlassen). Ein Infostand darf uns nicht vergessen lassen, wie viel queerfeindliche Polizeigewalt es in Deutschland generell und um diverse CSD-Veranstaltungen herum im Besonderen gibt.
Die einzelnen Polizist*innen handeln teilweise vielleicht nicht aus überzeugter Queerfeindlichkeit, agieren jedoch innerhalb der institutionellen/vorgegebenen Struktur sexistisch, queerfeindlich, rassistisch, ableistisch usw.
Diese Strukturen innerhalb der Polizei in Verbindung mit ihrer Aufgabe, das bestehende System zu schützen, lassen sich auch nicht durch angestellte queere Personen oder Queerbeauftragte innerhalb der Polizei reformieren. Dies und eine falsche Sicherheit im Bezug auf die Polizei wird jedoch durch einen Infostand suggeriert.
Zusätzlich werden durch die Polizeipräsenz andere queere Menschen de facto vom CSD ausgeschlossen. Dies kann insbesondere für Menschen gelten, die nicht (nur) auf Grund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlecht diskriminiert werden. Menschen, deren Lebensrealität es ist, stets von der Polizei kontrolliert und kriminalisiert zu werden. So ist es kein Zufall, dass der Mainzer CSD eine mehrheitlich weiße Veranstaltung ist.
Die Polizei schützt die bestehende Ordnung und wird daher niemals ein zuverlässiger Partner im Kampf um Emanzipation und ein befreites Leben für alle sein.
Unsere Kritik an der Polizei ergibt sich also aus historischen und systematischen Beobachtungen. Diese richtet sich demnach nicht gegen einzelne queere Polizist*innen, sondern gegen das Auftreten in Uniform und was diese repräsentiert.

3. Wie geht’s weiter?

Wir als Gruppe und insbesondere viele queere Aktivist*innen unserer Gruppe, haben den CSD, den antikapitalistischen Block und auch den Protest gegen den Polizeistand als empowernde Momente erlebt. Natürlich reflektieren auch wir unsere Rolle in politischen Kämpfen und Zusammenhängen wie dem CSD immer wieder und hoffen, immerhin die meisten tun dies auch. Auf dass der CSD 2024 ohne handgreifliche Eskalationen innerqueerer Konflikte stattfinden wird – und wir bis dahin in unseren inhaltlichen Auseinandersetzungen und gemeinsamen Kämpfen ein ordentliches Stück voran gekommen sein werden!
In Zeiten wie diesen, mit Krisen an allen Ecken und Enden und einem gesellschaftlichen Rechtsruck, bauen wir zusammen einen linken Pol auf, der in der Lage sein wird, Errungenschaften zu verteidigen und eine umfassende Emanzipation aller Menschen zu erstreiten.

Selbstverständlich stehen wir für Gespräche auf Augenhöhe mit den Organisator*innen des Mainzer CSD, Vertreter*innen verschiedener Zeitungen und Medien, sowie allen an einer politischen Auseinandersetzung interessierten Menschen bereit – wir freuen uns sogar über diese!

Solidarisch
Linke Liste / SDS Mainz

Einzelnachweise:
1: https://www.instagram.com/p/CvFmCECshJP/?igshid=MzRlODBiNWFlZA==
2: Wie bereits am Sonntag der Instagram-Kanal „Antifa Mainz“ in einem Statement veröffentlichte, https://www.instagram.com/p/CvVT-vVM6Lv/?igshid=MzRlODBiNWFlZA==
3: Wie bereits am Sonntag der Instagram-Kanal „Antifa Mainz“ in einem Statement veröffentlichte, https://www.instagram.com/p/CvVT-vVM6Lv/?igshid=MzRlODBiNWFlZA==
4: CSD Mainz(Instagram): „Die Studierendegruppe Linke Liste/SDS Mainz rief unter dem Slogan „CSD ohne Cops und Konzerne“ zum Protest gegen den CSD auf“ – https://www.instagram.com/p/CvZOwO1sXx2/?utm_source=ig_web_copy_link&igshid=MzRlODBiNWFlZA==
Dieses Narrativ übernimmt z.B. Tagesschau ungeprüft: „Hintergrund der Auseinandersetzung war eine Aktion der Hochschulgruppe Linke Liste/SDS gegen den Christopher Street Day.“ (https://www.tagesschau.de/inland/regional/rheinlandpfalz/swr-faustschlag-auf-dem-csd-in-mainz-linken-politikerin-tritt-zurueck-100.html); https://www.allgemeine-zeitung.de/lokales/mainz/stadt-mainz/csd-mainz-vermittlerin-zwischen-queeren-menschen-und-polizei-2730086)
5: z.B. SWR: „Sie demonstrierte dagegen, dass die Organisatoren des CSD Polizistinnen und Polizisten zum Schutz der Veranstaltung eingesetzt hatten.“ (https://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/mainz/faustschlag-auf-csd-in-mainz-linken-chefin-tritt-zurueck-100.html)
6: So z.B. Teile der Lokalpoltik, die die Situation schlichtweg falsch darstellt. https://www.gruene-mainz.de/2023/07/31/gruene-mainz-verurteilen-angriff-auf-transperson-im-rahmen-des-csd-mainz/
7: https://www.instagram.com/p/CvVT-vVM6Lv/?igshid=MTc4MmM1YmI2Ng==
8: https://www.instagram.com/reel/CvWsacft4jl/?utm_source=ig_web_copy_link&igshid=MzRlODBiNWFlZA==
9: https://www.instagram.com/p/CvXz754Ndog/?igshid=MTc4MmM1YmI2Ng==
10: https://www.instagram.com/reel/CvWsacft4jl/?utm_source=ig_web_copy_link&igshid=MzRlODBiNWFlZA==

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